Der lange Weg eines wahren Meisters
Karate kann ein ganzes Leben prägen. Der stellvertretende Vorsitzende von Okinawa-te Geldern ist ein gutes Beispiel.
Viele denken bei Karate direkt an Chuck Norris oder Bruce Lee, die in ihren Filmen unbezwingbar und mit fliegenden Fäusten durch die Lüfte schweben. Und gleich danach setzen die Bilder von zerschlagenen Dachziegeln und Brettern ein. Aber mit zirkusreifer Artistik hat der Sport nichts zu tun. Und schon gar nicht bietet Karate Platz für unbeherrschte Schlägertypen.
Sieg oder Niederlage sind nicht das eigentliche Ziel. Karate ist eine Lebensschule. Der Weg zur „Meisterprüfung“ ist lang und erstreckt sich in der Regel über viele Jahre. Das eigentliche Ziel ist die Vervollkommnung der Persönlichkeit. Im Karate ist tatsächlich der Weg das Ziel. Und am Anfang steht immer der erste Schritt. Diesen machte Frank Debecker vor 41 Jahren. Ein Freund, Detlef Zander, nahm ihn mit zum Karate-Training. Der elfjährige Frank war sofort begeistert von den spannenden Bewegungsabläufen. Das wollte er auch können. Der lange Weg zum Meister hatte begonnen – seine Faszination und Leidenschaft für den Sport ist heute aktueller denn je.
„Karate war und ist für mich die ideale Plattform, Körper und Geist zu trainieren, Selbstdisziplin zu üben und den respektvollen Umgang mit Gegner und Mitmenschen zu schulen“, fasst der gelernte Bergmechaniker kurz die Antwort nach der Bedeutung von Karate zusammen. „Heute kann ich sagen, dass der Sport mir wesentlich mehr Selbstsicherheit im Umgang mit Menschen gegeben, meinen Charakter geformt und mir Ausgeglichenheit, Gelassenheit und Besonnenheit geschenkt hat.“
Mit einer großen Portion Disziplin und noch mehr Schweiß entwickelte sich der junge Karateka schnell weiter, die ersten Jugend-Wettkämpfe wurden gewonnen. Bald gab er Wissen und Können in seinem Verein Okinawa-te Geldern weiter, leitete Anfängerkurse und lernte dort 1987 seine spätere Ehefrau Elke kennen.
Die Prüfung zum ersten schwarzen Gürtel (1. Dan) legte er 1989 ab, im Jahre 2002 und 2008 kletterte er zwei weitere Dan-Stufen hinauf. Beruflich hatte er sich längst weiterentwickelt und erfolgreich ein Maschinenbau-Studium abgeschlossen. Beruf und Familien rückten in den Mittelpunkt, seinem Sport konnte er nicht mehr mit der gewohnten Intensität nachkommen. Seine heute 14 Jahre alte Tochter kam zur Welt, es folgte ein Umzug von Geldern nach Issum. Der 4. Dan kam 2014 – verbunden mit der Erkenntnis, nun die technischen und körperlichen Grenzen als Karateka erreicht zu haben. „Bis zum 4. Dan stehen sauber vorgetragene und effektive Techniken im Vordergrund“, erklärt Debecker.
Sein Sport und die Familie sind dem Bauingenieur sehr wichtig, aber das Ehrenamt spielt ebenfalls eine zentrale Rolle in seinem Leben. Als zweiter Vorsitzender ist er der wichtige Mann an der Seite des Gelderner „Karate-Urgesteins“ Richard Froeschke, der dem Verein seit 47 Jahren vorsitzt. Außerdem ist Debecker im Besitz der internationalen Lizenz zum Kampfrichter der Stilrichtung Shotokan und vertritt rund um den Globus den Deutschen Karateverband (DKV). Er hat die B-Prüferlizenz und ist berechtigt, Prüfungen bis zum Braungurt abzunehmen. Dass er innerhalb des Vereins als Trainer fungiert, versteht sich fast von selbst.
Irgendwann wurde Debecker wieder von seinem Ehrgeiz eingeholt. Die Zeit war reif, sich neuen Herausforderungen zu stellen. „Ich brauchte neue Ziele. Ohne Ziele kein Fortschritt“, sagt er. Der 5. Dan im Shotokan-Karate sollte her, der erste Meistergrad, auch „Experte der Übung“ genannt. „Vor gut einem Jahr habe ich angefangen, mich intensiv auf diese Prüfung vorzubereiten“, erzählt der 52-Jährige. Der Trainingsplan umfasste drei bis vier Einheiten pro Woche, außerdem standen Privatstunden bei Bernd Milner, Träger des 9. Dan, auf dem Programm. Der bekannte Bochumer Karateka sollte später auch zu den Prüfern gehören.„Das war kein Vorteil für mich“, erinnert sich Debecker. „Er hat sich meine Präsentation angeguckt und gesagt, dass ich mich noch verbessern soll. Mehr war von ihm nicht zu erfahren.“
Die Prüfung hat’s in sich. Fehlerfrei und effektiv vorgetragene Techniken werden wie selbstverständlich vorausgesetzt. „Man muss sich das wie eine Kür beim Eiskunstlaufen vorstellen“, erklärt das Gelderner Kampfsport-Ass. „Meine Präsentation stelle ich mir selber zusammen, die Abläufe und Koordination der Techniken kenne nur ich. Ein Jahr lang habe ich daran gefeilt und war mir nicht sicher, alles richtig gemacht zu haben. Der alles entscheidende Punkt ist, dass die Prüfer zu der Überzeugung kommen, dass ich als Kandidat den tieferen Sinn von Karate verstanden und verinnerlicht
Debecker konnte seine strengen Richter überzeugen und darf jetzt ebenso wie Richard Froeschke den 5. Dan tragen – im gesamten Kreis Kleve hat kein Karateka eine höhere Graduierung. In Nordrhein-Westfalen haben nur rund 50 Sportler diese Stufe der Karate-Karriereleiter erklommen, die mit dem 9. Dan endet. Bei Nummer 10 handelt es sich um einen Ehrentitel, der äußerst selten verliehen wird. Der Karate-Meister spielt bereits mit dem Gedanken, eine weitere Stufe nach oben zu klettern. „Wenn ich in fünf Jahre noch fit bin und das Knie hält, warum nicht?“
Besondere Voraussetzungen, sich einem Karateverein anzuschließen, sind nicht erforderlich. „Ob Gummimensch oder Kantholz – Karate ist extrem vielfältig und hält für jeden etwas bereit. Reinschnuppern ist bei uns zu jeder Zeit gerne gesehen“, versichert Frank Debecker. Der Meister weiß schließlich aus eigener Erfahrung, dass es sich lohnt, den ersten Schritt zu machen.
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